7.1.1952.

 

U.v.Beckerath

 

Herrn Klose,

Berlin-Friedenau, Deidesheimer Str. 6, II .r.,

Ecke Laubacher Str.

 

Lieber Herr Klose,

 

ich habe doppelt das hier beigelegte Exp. von Kant's "Metaphysik der Sitten". (Die Fremdwoerterjaegerei Kaufs gefaellt mir gar nicht. Aus dem Inhalt des Buches ergibt sich, dass er gar nicht die Sitten meinte, sondern die Moral.)

      Schlaegt man die von Schopenhauer in seinen Angriffen auf Kant zitierten Stellen nach, so ergibt sich, dass jeder einzelne Angriff unberechtigt ist. Sie werden das selbst finden, wenn Sie die betr. Stellen nachschlagen.

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      Zu unserm Gespraech ueber Arbeitsbeschaffung:

      Alle bisher in Europa bekannt gewordenen Systeme der Sozialreform und der Arbeitsbeschaffung, von der Goldwaehrung, Modell 1913, an bis zum System von Silvio Gsell (Silvio Gesell), setzen als ganz selbstverstaendlich voraus, dass die Kaufkraft mit dem staatlichen Geld verbunden sein muesse, also mit Goldmuenzen unter der Goldwaehrung und mit dem Zwangskurs-Papiergeld, das jetzt die Welt beherrscht. Das Grundprinzip aller Systeme, einschliesslich der Reformsysteme ist: Verschaffe dir das staatliche Geld, damit du kaufen kannst. Wenn du das nicht tust, dann darfst du nicht kaufen.

      Ob der Grundsatz nun richtig ist oder falsch: Gewiss ist, dass bei diesem Grundprinzip niemand mit seiner Arbeitskraft zahlen darf;  er wuerde dadurch das staatliche Zahlungsmittel-Monopol verletzen. Andererseits aber scheint doch a priori klar: Wenn es nicht grundsaetzlich erlaubt ist, mit der eignen Arbeitskraft zu zahlen, dann bleibt unvermeidlich viel Arbeitskraft brach, einfach aus Mangel an Zahlungsmitteln gerade an der Stelle, wo die Arbeitskraft sich verwerten moechte.

      Mag nun auch beim gegenwaertig in der ganzen Welt ueblichen System der "exclusive currency" (Ausdruck von William B. Greene) die Wirtschaft im Durchschnitt genuegend mit Zahlungsmitteln versorgt sein, so wird doch der statistisch trainierte Oekonomist allein aus der Analogie mit allen jemals statistisch erforschten, empirischen Erscheinungen erwarten, dass diese Erscheinungen, nach irgend einem numerisch bestimmbaren Merkmal geordnet, sich um einen Mittelwert herum gruppieren, nach irgend einem Verteilungsgesetz. Das Gaussische Verteilungsgesetz wird der Oekonomist als erste Approximation des wirklichen Verteilungsgesetzes erwarten. Was bedeutet das aber? Es bedeutet, dass bei der statistischen Verteilung Extremwerte auftreten. Im vorliegenden Falle also wird der Statistiker es als etwas ganz Selbstverstaendliches erwarten, dass einige Stellen im Zahlungsverkehr nicht genuegend mit Zahlungsmitteln versorgt sind, andere aber allzu reichlich damit versehen sind. Anders ausgedrueckt: Der Oekonomist wird erwarten, dass an einigen Stellen alle Schrecken einer Deflation walten, anderswo aber die bekannten Erscheinungen der Inflation, dass aber die meisten auf Zahlungsmittel Angewiesenen sich doch mit dem ihnen zufliessenden Quantum behelfen koennen.

      Laesst man das gelten, so wird man anerkennen: es gehoert mit zum Wesen des Systems der exclusive currency, dass an einigen Stellen Mangel an Zahlungsmitteln besteht, an diesen Stellen also die Arbeitskraft nicht verwertbar ist, einfach weil sie nicht bezahlt werden kann. (Oder darf - - § 115 der Gewerbeordnung.)

Nun ist die Frage berechtigt: Wie soll denn die Zahlung mit Arbeitskraft geschehen? Die Beispiele aus der Wirtschaftsgeschichte, wo mit Arbeitskraft gezahlt wurde, die sind ja nicht gerade verfuehrerisch. In vielen Laendern ist es z.B. erlaubt, die Steuern oder doch gewisse Steuern durch Ableisten von Arbeiten zu bezahlen, vor allem durch Arbeiten an den oeffentlichen Wegen und Strassen. ("Wegefronen" - - frueher auch in Deutschland ueblich.) Sogar in den Suedstaaten der USA ist dieses System noch gebraeuchlich. Bekannt ist, dass frueher oefters junge Deutsche in der Weise nach Amerika auswanderten, dass sie die Kosten der Ueberfahrt im Heizraum des Schiffes abarbeiteten oder andere Dienste leisteten. In allen Faellen aber, wo mit Arbeitskraft gezahlt wurde, da waren die Missbraeuche gross. Auch war die Anwendbarkeit des Systems beschraenkt.

Alle Uebelstaende werden aber vermieden, wenn man das System der Bezahlung mit Arbeitskraft kombiniert mit einem Zahlungsprinzip anderer Art. Dieses letztere Prinzip tritt am deutlichsten in die Erscheinung im Verrechnungsscheck. (In Deutschland seit Jahrzehnten ueblich. in England unbekannt.) Der Verrechnungsscheck ist aber nicht die einzig moegliche Erscheinungsform des ihm zum Grunde liegenden Prinzips. Das ergibt sich aus einem sehr einfachen Beispiel:

 

Bekannt sind die italienischen, landwirtschaftlichen Pachtgenossenschaften. Die entstanden in dem Jahrzehnt vor dem ersten Weltkrieg, meistens dadurch, dass die Arbeiter einer Latifundie sich als Produktivgenossenschaft organisierten und die Latifundie vom Grundbesitzer pachtweise uebernahmen.

Wenn nun solche Genossenschaften etwa die Textilien ihrer Genossen mit Gutscheinen bezahlten, auf denen stand:

"Diesen Gutschein ueber 10 Lire nimmt die Genossenschaft

wie bare 10 Lire an, wenn ihr jemand landwirtschaftliche

Produkte abkauft".

dann zahlte die Genossenschaft mit der Arbeitskraft ihrer Genossen, das bare Geld war aber bei dem Zahlungsvorgang ausgeschaltet.

 

      Es ist leicht, das Beispiel zu verallgemeinern:

 

1.) Die Arbeitskraft des einzelnen Genossen - - an sich ganz ungeeignet als Zahlungsmittel - - wurde Bestandteil eines grossen Kollektivs. Zu diesem Kollektiv konnte man mehr Vertrauen haben als zu einem einzelnen Arbeiter.

2.) Durch die Einfuehrung des Gutscheines wurde die Arbeitskraft zunaechst "gestueckelt", und die Stuecke wurden typisiert, genau wie Geld.

 

      Das Beispiel so zu verallgemeinern, dass es die gesamte Arbeitskraft eines Landes umfasst waere nicht allzu schwierig. Sie sehen aber wohl schon, worauf es ankommt. Der Haken ist nur, dass in der ganzen Welt typisierte Gutscheine verboten sind. Die Aufhebung dieses Verbotes muesste zunaechst erreicht werden. Das Verlangen darnach waere mit dem heute vergessenen, vor 1914 aber allgemein anerkannt gewesenen Satz zu begruenden: Mit zwangskursfreien Zahlungsmitteln kann man nicht inflationieren. Allenfalls koennen solche Zahlungsmittel durch Missbrauch (Ueberemission) ein Disagio bekamen, koennen sogar wertlos werden. Dadurch haben dann Einzelne Schaden, das Preisniveau aber bleibt unbeeinflusst.

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      Soviel fuer heute!

      (Halten Sie sich bei Ihrer gegenwaertigen Arbeitsueberlastung nicht mit einer Antwort auf!!)

 

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Mit bestem Gruss

Ihr

gez. U.v.Beckerath.

 

 

 

 

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First published in: Ulrich von Beckerath: Zur Freiheit, zum Frieden und zur Gerechtigkeit; Gesammelte Briefe, Papiere, Notizen, Besprechungen. PEACE PLANS 428-467 (Mikrofiche), Berrima, Australia, 1983. Pages 2124-2125.